Es ist etwas dran an dieser These die Coronapandemie wirke wie ein Brennglas. In Politik und Gesellschaft kann man das deutlich beobachten, aber eben auch im ganz kleinen privaten Leben. Alles, was vorher schon marode war, bricht nun spektakulär zusammen oder zerbröselt ganz leise. Ein oder andere schmerzliche Überraschung bleibt nicht aus. Nicht alles, das für tragfähig gehalten wurde, trägt nun noch. Umgekehrt klappt es aber auch. Bindungen stabilisieren sich und gewinnen an Tiefe, obwohl es kaum persönliche Treffen gibt.
Was sich verändert hat in mir: Die Wahrnehmung von Zeit. Ich habe keine Lust mehr auch nur eine Minute davon zu verschwenden. Die Siebe dafür, was – oder wer – einen Platz in meinem Leben haben soll, sind deutlich engmaschiger geworden. Keine Zeit für Narzissten, Egozentriker, gefühllose Pragmatik und einseitige Kisten. Wer nicht geben kann, soll auch nicht nehmen. Keine Geduld für Tätigkeiten, die Ähnlichkeit mit Steineklopfen haben. Auch: Totale Abkehr vom sogenannten Multitasking. Was immer ich gerade tue, tue ich ganz. Keine Wechsel mehr zwischen Arbeitsprogramm und Signal oder Email. Eins nach dem anderen, in voller Konzentration. Eine Tendenz zu Tageslisten, Priorisierungen, klarer Struktur.
Der Standardrhythmus total zerbombt. Es gibt eine Kernarbeitszeit im Tage, 4 Stunden, der Rest wird nach aktueller Lage sortiert. Schlafen, wenn man müde ist, essen, wenn man hungrig ist. Fremdbestimmung findet nur noch dort statt, wo ich eine Verantwortung habe oder eine Notwendigkeit befrieden muß.
Der Wintereinbruch im April tut ein Übriges – mich zieht es nicht nach draußen.
Was es gibt: Pläne für ein numionoses »Danach«, an denen ich heute schon arbeite. Ich plane ein völlig neues Berufsfeld und lerne Neues. Auch entsteht eine andere Ordnung der Dinge um mich herum. Schluß mit »Kann man vielleicht noch einmal brauchen« aber auch mit »Funktioniert schon noch irgendwie.« Notbehelfe ersetzen, Überflüssiges verkaufen, verschenken, entsorgen.
Meinem Herzen geht es nicht so gut in der Pandemielage. Zu unvernüftig und beängstigend der „Mann auf der Straße“, unersetzlich auch Reise- und Bewegungsfreiheit ohne eine Risikoabwägung, die in sich selbst unwägbar ist. Berührung, Umarmungen, Selbstverständlichkeit. – Das fehlt bis auf Weiteres.
Auch schwierig: Ich bin nicht alt, aber jung bin auch nicht mehr. Ohne Begegnungen fehlt mir das Feedback, das mir hilft mich selbst nach wie vor als anziehend einzuordnen. Ganz aus eigener Kraft schaffe ich das nicht. Auf Kritik dagegen reagiere ich empfindsamer, stelle vieles in Frage, reflektiere viel, vielleicht zuviel.
Hilfreich wie immer: die Freunde, die befellten Bezugnehmer. Besorgniserregend: eine Tendenz zur Misantropie, die mir vor der Pandemie völlig fremd war. Anpassung an die Lage? Dann wird sich das von selbst erledigen, früher oder später.
Den inneren Schweinehund in Sachen Bewegung und fit bleiben, den muß ich allerdings ins Gebet nehmen, da ist ungeheure Schlamperei ausgebrochen.
Ich wünschte, dieses verdammte C wäre uns allen erspart geblieben.
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