Juli, Nachtschatten, Abwehr – Pandemiejournal Tag 130

Noch nie gab ich ein Jahr verloren, nichteinmal die rauhesten von ihnen. Diesmal bin hart davor, und das schon im Juli. Diese verdammte Coronalage geht mir langsam an die Basis, fühle mich wie ein Tier im Käfig. Mich an die sogenannte ’neue Normalität‘ zu adaptieren fällt mir schwer. Ich bin nicht alt, aber auch nicht mehr jung, und es gibt Tage, da scheint der Gedanke bis ans Ende meines Lebens Abstände einzuhalten und Maske zu tragen auf, und drückt mich einfach an den Boden.
Zwanzig Impfstoffstudien in der ersten Kohorte, Optimismus will trotzdem nicht aufkommen. Zu viele Informationen über dieses Biest stimmen nicht froh. Daß man inzwischen sehr tief graben muß, um an diese überhaupt zu kommen, gibt obendrein zu denken.

Meine fernen Freunde reisen nicht; ich selbst mag mich langen Zugreisen auch nicht aussetzen – und frage mich täglich, ob ich vernünftig bin oder paranoid … die Einordnung ist nicht unkompliziert und oszilliert von einem Tag auf den anderen.
Hier in D schlagen wir uns recht gut, doch muß man nur auf andere Kontinente schauen um zu erkennen wie fies die Lage innerhalb von Tagen werden kann. Sollte ich noch einmal diesen Satz hören »Ich kenne niemanden, der krank ist.« werde ich möglicherweise jemanden anspringen. Ich kannte jemanden, der starb.
Die wildwüchsige Empfehlungs- und Verordnunglage der Bundesländer vermag auch eher nicht zu Beruhigung beizutragen.
Unterm Strich führt Frau ein zuückgezogenes Biedermeierleben, das sie nie wollte. Schön ist anders.
Als typisch introvertierte Person war ich nie ein party animal, aber fünf Monate ohne die langen Nächte mir Freunden, ohne die Tanzereien und Konzerte, stattdessen mit Taucherumarmungen (‚Halte mal die Luft an. Ich tue es auch.), das haut verdammt auf die Stimmung. Ich sehe ein oder anderen Freund mit der Lage ganz anders umgehen, und frage mich ob meine Angst berechtigt ist.
Was auch eine Rolle spielt: Ich weiß wie es ist beatmet zu werden. Dies zeitweise bei vollem Bewußtsein erlebt zu haben, hat mich sicher traumatisiert. So mag ich ängstlicher sein als andere.

Bisher macht es mich wahnsinnig Mitmenschen zu erleben, die sich verhalten als gäbe es kein Risiko.
Andererseits verstehe ich sie – Menschen sind soziale Wesen, und einander ganz konkret in anderthalb Meter Schleifenbahnen auszuweichen, tut uns allen nicht gut.
Auch für mich selbst sehe ich den Punkt kommen, wo der Fatalismus das Zepter übernimmt. So wie ich die letzen fast fünf Monate gelebt habe, möchte ich nicht langfristig leben. Es wird der Tag kommen, wo ich beinahe alles wieder so machen werde wie ‚früher‘ (Sakra, das war im Februar. Zeitlich nicht lange her.), nur eben öfter mit Maske. Einfach, weil ich persönlich nun an Grenzen komme, an dieses Gefühl von ’so kann und will ich nicht leben‘.

Risikoabwägung, Lagebewertung – es ist und bleibt schwierig.