Neobiedermeier, oder: warum ich so angefressen bin

Die Karlsbader Beschlüsse, die Umwälzungen der Industrialisierung, der Machtverlust der Oberschicht – es kam Vieles zusammen, das den Bürger des Biedermeier (1815-1848) in die vermeintlich kontrollierbare Welt des Privaten drängte. Im Kern war dies eine Folge der Frustration, die aus dem Gefühl der Machtlosigkeit in unübersichtlichen gesellschaftlichen Verhältnissen erwächst.

So fühle ich mich in dieser unserer Republik schon seit Jahren, doch dieses Empfinden hat sich seit Beginn der Pandemie verschärft.

Die aktuellen Versuche die Seuche einzudämmen ohne einer numinosen Wirtschaft Schaden zuzufügen, sind für jeden denkenden Menschen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Wirtschaft, das sind wir! Jeder Einzelne von uns. Mengen an Geld VW und anderen Großkonzernen in den Rachen zu stopfen wird die Pleitewelle des Mittelstands, die auf uns zu rollt, nicht verhindern können. Zum Beispiel. Auch wird das Herumeiern von einem Lockdown zum Nächsten – im föderalistisch inkonsequenten Flickenteppich – die Pandemie nicht stoppen.

Dabei wissenschaftliche Erkenntnisse auf weiten Strecken zu ignorieren oder sie sich so zurecht zu biegen, wie es einem gerade passt (»Schulen und Kitas sind keine Pandemietreiber.« – A.Laschet), nach einem Brücken-Lockdown zu schreien – das Wort alleine! Gruselig! – aber schlichterdings nichts von dem zu tun, das tatsächlich geeignet wäre der Verbreitung des Virus einen Dämpfer zu geben, ist ebenfalls ein Wahnsinn. Nicht genügend Impfstoff, organisatorisches Chaos, nicht genügend Schnelltests und schon gar keine umfassende Testpflicht, Homeoffice auf freiwilliger Basis … usw. usf.

Das Schlimmste daran: Ich unterstelle der politischen Klasse keine Böswilligkeit. Vielmehr ist sie überwiegend einfach zu dumm. Es wird intellektuell schlicht nicht überrissen, welche Faktoren die Pandemie treiben, und wie die Statistiken und die Aussagen von Virologen, Medizinern, Epidemiologen zu verstehen sind. Die gesamte Coronapolitik ist folgerichtig ein Hinterherhinken und reagieren, statt vorausschauend zu handeln und aktiv zu agieren.

Diese Blödheit erstreckt sich auch auf die großen globalen Probleme (-> Klimawandel), und ist nicht auf die politische Klasse in diesem unseren Lande beschränkt. Viel reden, nicht handeln – das scheint allenthalben der Stand der Stunde zu sein. Das wird Konsequenzen haben, gegen die die Folgen der Corona-Pandemie aussehen werden wie ein Kindergeburtstag.

Das Bildungsbürgertöchterlein, das ich bin, steht vor der Sammlung sozialer und (welt)politischer Idiotien mit fassungslosem Zorn und in hilfloser Wut. Logisch zieht man sich angesichts der eigenen Ohnmacht ins Private zurück, dorthin, wo man noch wirkmächtig ist.

Aber Vorsicht: Die Zeit des Biedermeier endete mit einer Revolution, das Krachen im Gebälk ließ sich nicht langfristig ausblenden.

Ich gehe dann mal einen Eierlikör ansetzen.