Jubiläum (Tag 956)

Wenn ich mich nicht verzählt habe, hatte ich heute den 70sten Corona-Schnelltest in diesem Jahr. Schon irgendwie irrwitzig – nach menschlichem Ermessen, auch nach den Regeln der Stochastik, hätte es mich längst erwischen müssen. Jede Woche habe ich mindestens einmal viele unkontrollierbare Kontakte im Pflegeheim. Aber, nix: negativ, negativ, negativ. Freitag die vierte Impfung, die mich hoffentlich nicht so schmeißt, wie sie die Freundin geschmissen hatte.

Der Besuch bei meiner Mutter fand einen der helleren Tage. Zwar wird sie zunehmend wirrer – unseren Gesprächen vermag niemand mehr zu folgen außer uns beiden, es ist ein Vorteil, wenn man den Charakter und die Erinnerungen des anderen im Wesentlichen kennt, in manchen Dingen teilt – doch fand ich sie gelassen und entspannt, humorige Bemerkungen und kleine Witze inklusive. Paradoxerweise ist ihr Verlust der Orientierung in der Zeit für uns beide entlastend. Sie weiß nicht mehr, spürt auch nicht mehr, ob ich gestern zuletzt bei ihr war oder vor (theoretisch, weil nie vorgekommen) vierzehn Tagen. Vielmehr ist sie einfach froh über mein Auftauchen, Vergangenheit und Zukunft sind immer weniger denkbare Konzepte in ihrer Welt. Das nimmt auch viel Druck und das ständige latent schlechte Gewissen von mir.

Gesundheitlich ist alles gut. Die Verletzungen sind abgeheilt, die medizinischen Werte sind gut, sie macht einen gut versorgten und gepflegten Eindruck. Ein Segen sondergleichen: Die kleine Praktikantin (18jährig), deren Name in der Übersetzung »Topas« bedeutet, hat meine Mutter sehr schön in ihrem warmen und rücksichtsvollen Sein erkannt und darob einen Narren an ihr gefressen. Sie verbringt viel Zeit bei meiner Mutter, tut Dinge, für die den hauptamtlichen Pflegekräften die Zeit fehlt, und tut meiner Ma erkennbar gut. So hatte sie heute perfekt manikürte Hände, einschließlich Nagellack, was sie mir erkennbar erfreut präsentierte.

Finanziell schmelzen die Reserven für die Pflege langsamer ab als befürchtet, auch werde ich im Zuge der üblichen Jahresanträge einiges von der Krankenkasse zurückholen können. So mag es dann doch noch dauern, bis ich einen Sozialantrag stellen muß. Die grobe Lage fraß fast 42% des Rücklagevermögens in zweieinhalb Jahren. Rechne ich das hoch, nachdem sich die Kostenlage sozusagen ‚eingepegelt‘ hat, haben wir noch für knapp vier Jahre Rücklagen, aus denen ich ja immer nur Teile zubuttern muß, weil es daneben noch zwei Renten gibt. Ich glaube nicht, daß sie diese acht Jahre noch schafft. Lasse mich wahrlich gern eines Besseren belehren, doch bleibt mir aktuell das Gefühl ‚finanziell haben wir genug Raum‘. Aus Gesprächen mit anderen Bewohnern weiß ich, daß es den meisten anders geht und schon eine Schachtel Zigaretten ein Luxus sein kann.
[Edit: Man sollte nachts nicht rechnen – es sind knapp fünf Jahre, denn das Pflegeheim ist erst seit einem Dreivierteljahr in der Rechnung, und das ist teuer. Aber auch fünf Jahre sind keine schlechte Perspektive, finanziell gesehen.]

Scherze am Rande: Die Bank schreibt meine Mutter an – der Brief erreichte mich als Bevollmächtigte mit deutlicher Verspätung, weitergeleitet vom Pflegeheim – und bittet um die Aktualisierung der Daten meines Vaters ( -> auf beide laufendes Konto). Ich raufe mir die Haare – bereits 2019 habe ich dem Institut meines Vaters Sterbeurkunde sowie meine Bevollmächtigung zukommen lassen, zusammen mit einem elaborierten Anschreiben. Jetzt kriegen sie den ganzen Kram noch einmal und ich frage mich, ob die wirklich zu doof sind die Automatismen ihrer IT nach Aktenlage auch einmal abzuwürgen … Was soll man sagen? Neuland?!?

So nichts Wildes passiert, werde ich morgen einen kleinen Sonntag ausrufen, da der letze keiner war. Pausen sind wichtig.