Ach, verdammt! – Pandemiejournal Tag 120

Alter Schwede, so langsam wird’s wirklich haarig. Die USA und Brasilien scheinen mit fürchterlichen Zahlen auf, hierzulande schreien sie nach Lockerungen und lösen damit im verflixten föderalistischen System unter der Bevölkerung vor allem eines aus: Verwirrung. Was ist denn nun Sache hier? Aufflackernde Hotspots lösen die zu erwartende Schaukelbewegung aus – auf-zu-auf-zu.
Man fasst das alles kaum.

Dieser Tage ein Treffen mit einem neuen Klienten. Den gebotenen Handschlag spontan erwidert, direkt danach verkrampft und erschrocken. Aufenthalt in einem geschlossen Raum für 13 Minuten, unter Wahrung des Mindestabstands. Selten habe ich mich unbehaglicher gefühlt. Die ersten Schäden in Denken und Verhalten werden erkennbar. Ich sehne mich unfassbar nach den gar nicht so alten Zeiten zurück, vermisse den physischen Kontakt und die buchstäbliche Nähe zu Menschen, die mir gefallen, wie verrückt. Gleichzeitig werden die Scheu und das Rückzugsbedürfnis immer größer. Kein Wunder, daß Frau sich da reichlich schizophren vorkommt.
Das alles tut mir absolut nicht gut (wie auch allen anderen nicht). Motivation für was-auch-immer ist schwer aufzutreiben, falls doch kommt sie in Schüben, die beinahe manisch anmuten und es vielleicht auch sind.

Ich bin froh, daß ich in meine Puppenstube seit jeher soviel Liebe und Energie gesteckt habe. Ich fühle mich hier wohl und so bleibt mir wenigstens das Gefühl einer immer niedriger werdenden Deckenhöhe erspart. Es wäre allerdings hilfreich, wenn der Hochsommer endlich käme. Für mich persönlich gilt: Wenn ich hier schon so eingeigelt leben muß, dann brauche ich Licht und Hitze. In einem Jahr ohne Reisen und mit unsicheren Perspektiven sollte wenigstens der Sommer am Balkon wirklich einer sein. Mein toskanischer Balkon kann mir einen Garten ersetzen – dafür muß es aber warm sein, besser heiß.

Zum ersten Mal in meinem Leben vermisse ich Auto und Führerschein. Hätte ich diese, würde ich ab und an einfach an einen brandenburgischen See gondeln. So wie die Dinge liegen, geht da nichts. Stundenlanger Aufenthalt in den Öffentlichen machte mich total verspannt; mit dem Fahrrad komme ich bei meiner Kondition nicht so weit wie ich möchte.

Lagerkoller würde ich das nicht nennen, aber die sinnvollen Einschränkungen schlagen wie die Nachrichten aus anderen Ländern enorm aufs Gemüt.
Ein Tagesausflug aus der Stadt ‚raus ist unbedingt angesagt, egal wem ich dafür ein Messer an die Kehle setzen muß. :)