Kreisbahn (Tag 377)

Seit Wochen schon fühle ich mich wie Rilkes Panther.

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

R.M.Rilke, Nov. 1902

Die Tage haben zu wenig Bewegung (nach vorn, was sonst?), die Nächte sind schwer. Man fühlt sich wie in diesen Alpträumen, in denen man aus voller Kraft vor etwas flieht und dabei nicht vom Fleck kommt. Ich pflege die Tiere, die Wohnung, die Bindungen, mich, andere, und im Grunde ist alles ein Warten. Das stille Ausharren zieht enorm Energie, der Lebenskreis in dem Bewegung noch möglich ist, ist fühlbar zu klein.

Ich würde nicht sagen, daß ich unglücklich bin. Dafür bin ich mir meiner privilegierten Lage zu bewußt: Im Gegensatz zu vielen Anderen habe ich ein Dach über dem Kopf, bin nicht von Hunger und Kälte betroffen. Existenzängste habe ich, aber das kenne ich schon, das kriege ich irgendwie hin … denke ich jedenfalls. Doch fühle ich mich traurig. Eine Traurigkeit, die über allem liegt wie ein Wasserschleier. Reiseberichte von den Malediven bringen mich zum Weinen, ein hilfloses Japsen, doch kann ich noch fühlen, was ich dort fühlte. Immerhin. Und das steht pars pro toto. Womit wir wieder beim Panther wären …

Was geht: sackleinener Pragmatismus. Der wache Blick für alles um mich herum. Trotziger Optimismus (ich habe mir von einem Teil des Stoffgutscheins via Secondhandhandel ein Kleid gekauft, explizit für die Zeit ‘danach’, wann immer die sein mag. Vorher wird es niemand an mir sehen.)

Gut in all dem Grau: Die Nachbarschaftshilfen – und Aktivitäten sind regelrecht explodiert. Wir verschenken, wir helfen, wir raten. Das sind Bezüge, die einfach gut tun.
Nichtsdesto – der Kreis zu klein.
Soundtrack dazu:

Ich wünscht’ es wäre Nacht und die Preußen kämen …


Bildquelle: Photographiert im Prenzlauer Berg