Berlin – Greifswald – Kap Arcona

Meer macht glücklich.
Immer. Selbst in homöopathischen Dosen.

Aber der Reihe nach: Gesucht wurde der kürzeste Weg ans Meer, dorthin allerdings, wo man wirklich an die Küstenlinie kommt. Gewünscht war auch eine Zwischenstation – irgendeiner dieser Orte, die man sich immer mal ansehen wollte. Natürlich hat der knappe Entwurf einen Grund: Ein Tagesausflug. Mehr ist nicht drin, weil niemand außer uns im Stande ist den geliebten Katzenmethusalem zu medikamentieren – damit sind auswärtige Übernachtungen bis auf weiteres gestrichen.
Ich entschied: Stahlbrode, Fähre nach Rügen, Reise via Greifswald. Kühltasche, Thermosflasche, iPod beschickt und geladen. Geplanter Aufbruch 8h, es wurde dann aber doch neun. Geschenkt. Ein Wetter zum Heldenzeugen, strahlender Sonnschein, stahlblauer Himmel, Temperaturen um die 23 Grad. Allet schick, aber sowas von. Bis Greifswald einfach zeitenthobene Gondelei, fröhlich und mit viel Musik. Baustellen, Staus. Grmpf. Aber eigentlich egal.
Greifswald, dann.
Die kleine Stadt ist bezaubernd. Wir schlendern durch Fußgängerzonen, erkunden den Dom und sehen so gerade noch von einer Turmbesteigung ab. Hier könnte man so richtig schön hängenbleiben – die Reminiszenzen an meine Heimatstadt sind Legion. Nix da – das Meer wartet.

Die Fährenstelle in Stahlbrode hat etwas verwunschenes. Fast überdimensioniert wirkt die Fähre im Verhältnis zu dem bischen Wasser, welches es hier zu überwinden gilt. Nichtsdesto macht die kurze Überfahrt Spaß.
Rügen allerdings, Rügen – beschließen wir – ist einfach zu groß. Es fühlt sich an wie jede schöne Landschaft auf dem Festland. Vom Meer ahnt man nichts, man riecht es nichteinmal. Das geht so nicht! Wir beschließen also Binz anzufahren. Wir fahren durch die Gegend, eine eigenwillige Umleitunggestaltung führt uns lustige Wege: Gleiwitz-Gartz-Bergen-Karow-Zirkow-Serams-Binz.

Oh, Reisender, kommst du nach Rügen, cavete Binz! Keine Spur vom klassischen Charme alter Seebäder. Touristenarchitektur und Touristenauftrieb. Näää, also wirklich nich‘. So fahren wir denn auf Sassnitz und sind auch dort nicht glücklich. Ein Spontanentschluß führt uns auf eine kleine Straße und wir landen in … Glowe. Heureka! Ein kleines, malerisches Kaff, ein unbebauter und unverbauter Strand, keine Touristenanlaufstelle weit und breit. Möwengucken, Sand in den Schuhen, Meer. Schön.

Keine Ahnung, wo die Idee auf einmal herkam, Kap Arcona anzusteuern. Nunja. Es geht auf 18h, ich wundere mich leise, daß der Mann noch Gas hat – der Weg nach Haus ist lang – aber ich werden den Teufel tun mich dem entgegenzustellen.

In Arcona ist die Welt zu Ende. Pendelbahn oder per Pedes. PKW ohne Sondergenehmigung verboten auf dem Weg zum Kap. Die letzte Pendelbahn kommt gerade zurück. ‚Feieraaabnd!‘ ‚Pfeif drauf!,sagt der Mann. ‚Knapp zwei Kilometer. Schaffst du das?‘
Die beste Idee des Tages! Wir gehen durch eine Abendsonnenlandschaft, weit und breit kein Mensch und kein Fahrzeug, die Grillen zirpen, die Luft duftet nach Hochsommer, langsam, ganz langsam, sackt eine Dämmerung auf uns herab. Besser geht es nicht.
Im Prinzip am Kap angekommen, ist das alles eher unspektakulär – wenn man von den unglaublichen Schwärmen an Mücken, Kriebelmücken und Kleinfliegen absieht. Nichtdesto schlagen wir den überwachsenen Trampelpfad an die Abbruchkante ein.
Die diversen Biester fressen uns fast auf, aber es lohnt sich! Wir stehen irgendwann an der Bruchkante, die sinkende Sonne, das Meer, die Landzunge machen eine Kitschpostkarte vom Allerfeinsten, und das Beste: Es gibt eine Mördertreppe runter an den Kiesstrand. Klar müssen wir da runter!
Der Mann bemerkt verschämt, er gehe dann mal hinter diesen großen Stein. ‚Glaub ich nicht‘, denke ich mir – Gezeitenboden. Während ich noch kichere, entscheidet er klug sich lieber landseitig in die Büsche zu schlagen, statt sich nasse und grüne Füße zu holen.
Der Sonnenuntergang ist ein Traum in Bleu und Rosé über dem Wasser, aber wir müssen jetzt wirklich hier weg: Es wird dunkel und wir haben noch Miles to go bis zurück zum Auto.
Aufbruch. Als wir wieder in der Zivilisation angekommen sind – aber noch nicht am Parkplatz – weicht die Dämmerung der Dunkelheit.
Das Radler in dem kleinen Biergarten genießen wir sehr. Lange Wege machen durstig.
Der Rückweg über Stralsund – die Brücke vermag selbst nachts noch zu beeindrucken – der Rest der Strecke ist eher runtereißen. Sicher ist nun auch: Es gibt exakt EINEN Rasthof auf der Strecke – 50km vor Berlin. Ein schlechter Witz.
Ankunft in Berlin kurz vor Mitternacht. Glücklich. Zufrieden.
Man sollte öfter ans Meer fahren, auch wenn es nur für einen Tag ist.