Geplant war meinen Nachbarn R. in Empfang zu nehmen, mit ihm auf den Pflegedienst und auf die Haushaltshilfe zu warten und dann an den Schreibtisch zurückzukehren. Er kommt an, und ich bin schockiert. Geistig voll da, aber er kann kaum krauchen, selbst ins Bad zu kommen ohne Hilfe – utopisch. Wir lesen den Arztbericht, und ich kriege die Tür nicht mehr zu – es steht ziemlich unverblümt darin, daß er eigentlich in einer betreuten Einrichtung sein sollte, dies aber mangels Platz akut nicht möglich sei, ebenso wenig der weitere Aufenthalt in der geriatrischen Rehabilitation.
Die Pflegedienstleitung, die später bei ihm aufschlägt, erfragt vor allem anderen Dinge, aus denen im weiteren Verlauf Geld zu ziehen ist. Sie ist erkennbar genervt von den gut zusammengestellten Medikamenten für mindestens eine Woche. Klar. Schon ab morgen verblisterte, personalisierte Medikamente anzuliefern, wäre direkt vergoldet worden (Kenne ich von meiner Lage mit meiner Ma). Pflegerische Tätigkeit an diesem Tag: Null. Auch eine Einkaufshilfe, so wird man beschieden, wäre frühestens morgen, wahrscheinlich aber erst übermorgen möglich. Die hatte man ihm allerdings versprochen – nach vier Wochen jenseits der Wohnung ist der Kühlschrank natürlich sauber und leer (Darum haben K. und ich uns gekümmert.)
Kein Schwein hat es interessiert, wo R. schläft. Kein Schwein hat mit ihm das Aufstehen geübt (Herrgottnochmal! Ein Oberschenkelhalsbruch mit 75 ist keine Bagatelle!) Ich möchte in Tischkanten beißen, beziehe stattdessen ein Bett, sortiere Lagerungshilfen, arrangiere Möbel um, bringe aus meiner eigenen Kochwerkstatt ein warmes Abendessen, das sich leicht in der Mikrowelle erwärmen läßt, und gehe noch für ihn einkaufen. Von 13 bis 19 Uhr bin ich der aktuelle Kümmerer. Etwas anderes ist für mich nicht zu denken – man kann den armen Kerl doch nicht einfach aufs Sofa setzen und sagen: Sieh zu wie du klarkommst.
Mir kommt der Qualm aus den Ohren. Da wird jemand, der gerade sehr hilflos ist, einfach nach Hause verlagert, weil passende Plätze fehlen, nach dem Motto ‚Nach mir die Sintflut‘. Unfassbar.
Um 20:15h ruft er mich kleinlaut an: Wir haben das Wasser zur Nacht vergessen, und selbst, wenn er sich aufraffte hätte er keine dritte Hand um Wasserflasche oder gar ein Glas zu transportieren. Ich gehe noch einmal rüber und sortiere ihm die Dinge für die Nacht.
Was ist denn das für ein System, verdammt! das Verantwortung von einer Stelle zur nächsten schiebt und den Menschen dahinter unmittelbar vergisst?!?
Sechs Stunden täglich sind für mich nicht leistbar, es ist auch nicht meine Aufgabe. Was ich aber tun werde: Ein Auge darauf haben, wie gut die Dienstleister Dienst leisten. Ich habe da Erfahrung. R. ist ’nur‘ ein Nachbar für mich, aber vor allem anderen: Ein hilfsbedürftiger Mensch.
Schon erlebt. Alt, hilfsbedürftig krank und ohne Anhang geht in der besten Demokratie aller Welten gar nicht. Verantwortung in den Fällen nicht vorhandener Verwandte übernehmen solche wie du. Die, nicht wir, schaffen das. Zum k….. n. Mach weiter..
Natürlich mache ich weiter, muß aber aufpassen nicht zu weit zu gehen. Du erinnerst dich – mit meiner Ma habe ich mein eigenes Leben nur noch unter ferner liefen geschafft, mit langfristigen Folgen.
Klar ist: Wir haben da ein völlig krankes System, welches ohne Angehörige und empathische Menschen schon längst zusammengebrochen wäre.
Auch ich kenne das. Auch de ole Fru wäre nach ihrem Schlaganfall ohne jedes Nachhaken in die heimatliche Hilflosigkeit entlassen worden, hätte ich’s nicht mitgekriegt und mich auf die Hinterbeine gestellt. Die alten PatientInnen selbst verstehen in ihrer Lage manches Mal gar nicht, was da grad passiert. Irgendwer wird sich schon kümmern. (Und wenn nicht????? 🤨)
Dann landen die Leute als Notfall im Krankenhaus oder werden gar tot aufgefunden. Es ist zum Durchdrehen.
Da gibts dann eigentlich den Krankenhaussozialdienst dafür – aber wenn so ein alter Mensch nicht in der Lage ist, seine Hilflosigkeit zu artikulieren, dann wird der Sozialdienst halt auch nicht auf ihn aufmerksam…
Und wenn der Patient kämpferisch bis querulant ist – teilweise berechtigt, teilweise realitätsfern – ist es gleich ganz vorbei. Man nimmt ihn einfach überhaupt nicht mehr ernst. Das gilt leider in gewissen Grenzen auch für den Sozialdienst.