Nachbarn

Zu zweit stehen sie vor meiner Tür, mit Mienen, die nichts Gutes ahnen lassen. Ohne sich vorzustellen blaffen sie mich an: Schließen Sie gefälligst Ihr Oberfenster im Schlafzimmer! Uns kühlt oben die Wohnung aus!
Aha. Die Nachbarn über mir also, ein älteres Ehepaar. Die, von denen sicher auch der anonyme Brief war, der sich grob und beleidigend über ‚Sexgeräusche‘ beschwerte. Mmh. Ich höre mir das ruhig an, erkläre dann, daß ich in meiner Wohnung selbst entscheide wann und wie ich lüfte. Sie über Physik aufzuklären, spare ich mir. Wünsche einen schönen Abend und schließe die Tür.
Nicht wenig üble Nachrede auch, mir von anderen Nachbarn zugetragen. Logisch, daß sie mich auch nicht grüßten, wenn man sich im Treppenhaus begegnete.
So fing das an.

Dann kam ein Wintertag, an dem das Licht an seinem Audi brannte. Ich klingelte, und teilte freundlich über die Sprechanlage mit, was Sache war, und daß man besser das Licht abschalte, zur Rettung der Batterie.

Das änderte die Situation. Langsam begann man freundlich mit mir umzugehen. Über die Jahre kam es auch zu den üblichen nachbarschaftlichen Hilfen – Pakete annehmen, grüßen, sowas eben. Wir fanden in ein gutnachbarschaftliches Verhältnis.

Am Rande bekam ich mit, daß seine Frau gestürzt war und den Haushalt nicht mehr stemmen konnte, obendrein allmählich dement wurde. Mehrmals wandte er sich an mich um Hilfe in kleinen Dingen (‚Können Sie mir zeigen wie man eine Waschmaschine bedient?‘), die ich gerne gab.

Nun ist seine Frau, inzwischen moribund an Krebs erkrankt und mit einer Demenz in aggressiver Form geschlagen, in der Psychatrie. Er schlägt sich tapfer und erfinderisch, doch von vielen Dingen ist er schlicht überfordert – Onlinebanking? Hat er nie gemacht, hat er nicht. Aber eine offene Rechnung und Angst vor der Eisglätte. Bringt mir seine IBAN und die Rechnung, und bittet ich möge die Überweisung machen. Huch? Wie denn das? Ich erkläre ihm ein paar Dinge. Am Ende überweise ich die Summe von meinem Konto und er gibt das Geld in bar zurück. Kochen kann er gar nicht (‚Mir brennen sogar Spiegeleier an.‘)

Habe mir angewöhnt ihm von jedem Eintopf, den ich mache, zwei Portionen raufzubringen – ab und an sollte der Mensch etwas liebevoll selbst gekochtes essen – und vor meinen Einkaufstouren zu fragen, ob ich etwas mitbringen kann.

Ganz großes Mitgefühl mit diesem Mann – die nächste Verwandte lebt in Hannover, doch vieles läßt sich nur vor Ort sortieren. Außerdem fehlt es ihm erkennbar an Ansprache und Freundeskreis.
Der Nachbarfreund hat die Lage ebenfalls beobachtet. Wo wir können, helfen wir.

So kann das gehen – von blanker Feindschaft (ihrerseits) zu Mitgefühl und Unterstützung.
Mensch bleiben.