September

Ihre Auffassungsgabe schwankt von Tag zu Tag. Einen Tag ganz gut, drei Tage davor fast nicht vorhanden, beim nächsten Besuch wieder miserabel – es ist nicht leicht mitanzusehen. Viele für uns ganz selbstverständliche Fähigkeiten haben sich komplett in Luft aufgelöst – Schreiben, telefonieren, sogar so elementare Dinge wie von einem Stuhl aufstehen, und dann auch selbstständig stehen können – leider Geschichte.
Vor Kurzem landete sie deshalb nächtens in der Parkklinik nach einem Sturz – zum Röntgen. Außer Prellungen nichts passiert, halleluja. Doch sieht sie aus als habe sie sich mit einer Baseballmannschaft angelegt: Dicke Beule am Kopf, ein erlesenes blaues Auge, Hämatome am Unterarm. Sie kann sich weder an den Sturz erinnern, noch an den Kurzbesuch in der Parkklinik.
Zwei Tage später erreicht ihre Schwester sie am Telefon und berichtet mir von relativ klarer Orientierung und fröhlicher Grundstimmung.
Dann besuche ich sie wieder, und weder von Orientierung noch von freundlicher Grundstimmung kann gesprochen werden. Im Gegenteil – sie verweigert mir die Umarmung zum Abschied, selbst einen Blick, weil »du gehen willlst.«
Auch: Die Außenwelt interessiert sie immer weniger. Wenn ich sie danach frage, bin ich es um die sich ihre Gedanken drehen. Einigermaßen glücklich ist sie nur – sagt sie – wenn ich bei ihr bin. Ich tue, was ich kann, aber mehr als 2x in der Woche (und es sind immer drei bis fünf Stunden!) schaffe ich einfach nicht, oft klappt es auch nur einmal, aber das schaffe ich wirklich immer.
Wie gesagt – es ist schwer mitanzusehen.
Immerhin habe ich ihr kürzlich einen wunderschönen Blumenkasten mit Chrysanthemenbusch auf dem Balkon installiert. Der vorher dort aufgebaute Lavendel ist leider eingegangen, weil sie das mit dem Gießen weder körperlich noch geistig wirklich schafft – und die Pflegekräfte haben zuviel anderes zu tun. Der neue Kasten hat ein Bewässerungssystem, so werden die Pflanzen überleben, weil ich mindestens einmal die Woche Wasser nachfüllen kann.

Es sind so verzweifelt kleine Dinge, die ich noch tun kann …