Perspektivisch

Nach Konferenz mit den Geschwistern haben wir heute zugesagt für ein Zimmer in einem Seniorenheim für meine Mutter. Ich hatte Bauchschmerzen – das Zimmer ist sehr hübsch und wunderbar hell, aber kleiner als der erste Raum, den ich mir in diesem Hause angesehen hatte. Allerdings: Die Ausrichtung nach Osten ist wunderbar – und dieses Zimmer hat einen Balkon, der wirklich schön ist.
Den Ausschlag gab der Zustand meiner Ma. Die Demenz schleicht voran, und wir Geschwister waren uns einig, daß ein Umzug sicher leichter zu verkraften ist, so lange man noch leidlich orientiert ist und sich in der neuen Lebenslage wirklich eingewöhnen kann. Unter vorliegenden Umständen Monate auf das Freiwerden eines größeren Zimmers zu warten – nicht wirklich eine gute Idee. Ich habe mich erkundigt: Ein Umzug in ein größeres Zimmer innerhalb des Hauses ist möglich, wenn wieder eines frei wird, und meine Mutter das möchte. Gerne macht das Haus das nicht – viel Arbeit für die Haustechnik – aber es ist möglich. Damit war die Sache klar. Jetzt geht alles sehr schnell. Schon am Donnerstag werde ich meine Mutter in Berlin begrüßen.

Organisatorisch war das alles – natürlich – wieder ein Höllenritt. Allein 22 Unternehmen habe ich abtelefoniert für den qualifizierten Transport im passenden Zeitfenster (5 Tage!) Ma hat Manschetten, aber das ist klar: Sie kauft die Katze im Sack und kann mir nur vertrauen. Doch hat es sie sehr beruhigt, daß ich ihr wieder sagte: »Wenn es dir dort nicht gefällt, mußt du nur etwas sagen. Dann suche ich einfach weiter.«

Ich bin sehr erleichtert, weil wir damit endlich aus den provisorischen Lagen auf unbestimmte Zeit herauskommen. Ankommen, Ruhe ins Leben bringen. In Ihres und in meins.
Seit dem Tod meines Vaters verwalte ich zwei Leben, mit zunehmenden Komplikationsgrad, mit Zeiten voller Alarmrufe, Notaufnahmen in Krankenhäusern (durch die Feuerwehr aufgebrochene Türen inklusive), unzuverlässigen Hilfspersonen, und dem Tanz, den es bedeutet weite Teile dieser Dinge von Ferne zu betreuen, weil man nicht allle acht Tage fünfhundert Kilometer fahren kann, zumal ohne Führerschein/eigenes Auto. Ich freue mich wirklich auf sie, und bin sicher, wir sind beide froh den jeweils anderen bald ganz in der Nähe zu wissen. Zwischen dem Haus und meiner Wohnung liegen ganze 750m, zu Fuß 11 Minuten, mit dem Rad 5.

Angst habe ich auch. Durch meinen Kopf geistert ein Entsetzen auf ihrer Seite (‚HIER soll ich leben??‘) Ich kann nur beten, daß das nicht passiert. Mir hat der Raum wirklich gefallen, und sie und ich mögen beide Räume mit viel Licht und guter Ausstattung. Beides findet sich hier.
Einen gewissen Horror habe ich vor dem Nachgang: Die Wohnung in der Heimatstadt auflösen, 110 qm gelebtes Leben, von einem echten Hobbykeller – zwei Räume – ganz zu schweigen. Tonnen an Materie, die wir igendwie verwalten, verschieben, verschicken, verkaufen, verlagern müssen. Aber irgendwie werden wir das alles schaffen.
Irrwitzig: die Finanzaufwände. 1800 Euro für einen qualifizierten Transport, über 3000 Euro Überhang (Selbstzahler für 15 Tage) aus der Kurzzeitpflege, Abschlußrechnungen aus der alten Wohnsituation (geschätzt 2000 Euro plus laufender Miete bis einschließlich Mai), Entrümpelung und diverses, unterm Strich werden innerhalb weniger Tage grob 13000 Euro aus Rücklagenvermögen abfließen. Und dann natürlich die – erheblichen – Kosten für das neue Domizil. Das ist gewaltig und tut ernsthaft weh. Doch geht es einfach nicht anders.

Lustige Note in alldem: Ma hätte so gern gehabt, daß ich nicht so sehr unter Last gestanden hätte und äußerte, sie könne leider wenig daran ändern. Auf mein trockenes: »Doch! Gib mir bloß nicht nach dem ganzen Beritt innerhalb von drei Monaten den Löffel ab!« ist sie vor Lachen fast von der Bettkante gefallen. Unser Humor war schon immer speziell.