19 war ich. Der Typ, den man ‘apart’ nennt, weil schön nicht trifft – aber irgendetwas ist da. Dunkelhaarig, schmal, ein kleiner Schatten, herausgeschnitten aus der Nacht, Nachtmensch schon damals. Noch im Elternhaus wohnend, sehnte ich mich nach einem Urlaub ganz allein. Kratzte mein Geld zusammen und fuhr an die Nordsee. Ein Igluzelt auf einem netten Campingplatz, all die Zeit, die ein Tag umfassen kann, nur durch mich bestimmt, ein Meer in der Nähe – mehr brauchte ich nicht.
Kaum Berührung mit anderen Touristen, dafür bald der Kontakt zu den Nachtwesen. Gesucht. Gefunden. Tage am Strand, Nächte im Haus der Strandwache. Belegeschaft: Klaus, Anfang 20, Hallodri reinsten Wassers, nordischer Typ, attraktiv, Rettungsschwimmer, Jäger von one night stands – mit erstaunlicher Erfolgsquote; Jens, Mitte 40, dunkler Typ, attraktiv und sonst in allem anders als Klaus – down to earth, ruhige Ausstrahlung, Schalk im Nacken. Wie ich mir ihren Respekt erwarb – ich weiß es nicht mehr. Doch daß ich ihn hatte, das weiß ich genau. So rund, so selbstverständlich wurde meine nächtliche Anwesenheit im Haus.
Klaus hatte die Schlüssel zum Rettungsanhänger. Ein Wohnanhänger auf dem Strand, ausgestattet mit einer Patientenliege (sic!), und diversem medizinschen Equipment.
Es mag die siebte oder achte Nacht gewesen sein, in der ich mit Jens im Wachhaus Tee trank, es ging so auf zwei Uhr früh. Für eine Sommernacht war diese recht rauhbeinig. Der Wind presste die Tiede auf den Strand und jammerte winselig um das Haus der Strandwache.
Plötzlich flog die Tür auf und krachte gegen die Wand. Auf der Türschwelle: Klaus. In weißem Hemd und Slip, Jeans in der Hand, rotgesichtig, atemlos, die bloßen Füße blutend.
Jens drehte kaum den Kopf »Mach doch de Door to, do Idiot.«
Das geschah. Klaus fiel auf einen Stuhl wie eine Stoffpuppe.
»No?« brummelte Jens.
Die Erzählung, die folgte, war lang und leidlich wirr. Klaus hatte wohl wieder einmal eine seiner amourösen Ambitionen zu nächtlicher Verabredung am Rettungswagen überreden können. Nur war die junge Dame – entgegen ihrer Angaben – minderjährig, und obendrein mit ihrer Mutter auf Urlaub, die irgendwie von der nächtlichen Verabredung Wind bekommen hatte. Und dann wie ein Racheengel in der Tür des Rettungswagens stand, just als es zur Sache gehen sollte. Sie hatte sich wohl den nächsten Gegenstand gegriffen, der in Reichweite war: die Cowboystiefel von Klaus, und damit wie eine Wilde auf seinen Rücken eingeprügelt, unter Absingen wüster Beschimpfungen. Klaus suchte sein Heil in der Flucht, aus naheliegenden Gründen ohne Schuhe.
Wir saßen in der Station, tranken Tee mit mehr oder weniger Rum, lachten über die Geschichte, verarzteten Klaus’ Füße und die Kratzer auf seinem Rücken, hörten den Funk ab, tranken den Rum schließlich pur, und schwankten in der Morgendämmerung in unterschiedliche Richtungen davon.
Klaus hat seine Cowboystiefel nie wiedergesehen.
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