Ich nehme den Liebsten neben mir wahr, und das hilft, doch fehlt mir der kleine Kontrapunkt deines typischen wohlig-enspannten Ausatmens beim Lagewechsel so sehr, daß ich aufwache. Immer wieder. Mir fehlt auch das andere Aufwachen, wenn du mitten in der Nacht vierpfotig um dich schlugst, im Kampf mit Dämonen, die nur du kanntest, und dich sofort entspanntest, wenn man dich in die Arme nahm und gerade so weit anhob, daß du aus dem Traum kamst, aber nicht aus dem Schlaf.
Die Wut, die Verneinung, die Gegenwehr schon jetzt gegen die Sekunde, die mir am Morgen mein Bewußtsein wieder aufdrängt, das mir zuallererst, vor jedem klaren Gedanken, mitteilt, daß du nicht mehr da bist. Wut überhaupt …
Ich will etwas aus dem Eisfach nehmen, einiges kommt ins Rutschen, das was ich brauche ist nicht dabei – und Sekunden später fliegt alles durch die Gegend. Ich werfe um mich mit allem was mir in die Finger kommt. Dann liegt die Küche voller Eissplitter und Kram, das Fach ist leer und ich stehe weinend vor dem Chaos. Es hilft nicht. Nichts und niemand wird dich wieder zu mir bringen. Es gibt niemanden, den ich anklagen und zur Verantwortung ziehen kann, den ich mit Recht verprügeln kann, weil er uns auseinanderriss.
Und dann schäme ich mich plötzlich, weil ich eigentlich dankbar bin, daß wir so ungewöhnlich viel Zeit miteinander hatten. Daß ich dir so ein Schutzraum sein konnte, daß du mir blind vertraut hast, in jeder nur erdenklichen Lage. Daß du mein Wundertier warst, unübertroffen unkatzig in deiner Katzigkeit, weil willentlich mit so einem trampeligen Zweibeiner verzahnt, wie ich einer bin.
Ich denke an den Mann, der einen halben Tag lang in der neuen Wohnung vor einem Schrank lag, deine Pfote haltend, bis du selbst überzeugt warst dich unterm Möbel hervorwagen zu können. Und den du daraufhin mit einer Volladoption belohnt hast. Ein ganz anderer ‚Umgangston‘ als mit mir, aber genau so viel Vertrauen und Nähe.
Ich verfluche zum ersten Mal meine Freiberuflichkeit – 20 Jahre lang war ich nie wirklich allein, und wie wenig still deine ruhige Nähe war, merke ich jetzt in aller Härte. So viele kleine Geräusche im Wachen wie im Schlafen. Dutzende Male im arbeitsreichen Tag kleine Streicheleinheiten, hin wie her, und auch im Vorübergehen nie ’nur‘ im Vorbeigehen. Gegen Zehn werde ich besonders unruhig. Mit dem Aufsetzen der zweiten Kanne Kaffee habe ich die nadellose Spritze zum Auflösen deiner Medikamente schon in der Hand … Anderthalb Jahre habe ich das getan. Jetzt stehe ich in der Küche, lasse entsetzt die Hände sinken, und möchte nur noch um Hilfe schreien.
Die Stunden vergehen eine nach der anderen, die meisten quälend langsam. Es ist möglich zu arbeiten, Kundengespräche zu führen, wie abgespalten; und direkt nach dem Auflegen wieder vollkommen die Fassung zu verlieren, die Wände anzuschreien …
Die zweite Nacht ohne dich ist noch schlimmer als die erste. Ich schlafe nicht, vielmehr werde ich bewußt- und traumlos als habe man mir mit einem Ziegelstein auf den Kopf geschlagen. Danach lasse ich mich vom Tag bestimmen, tue, was an mich herangetragen wird, einfach, weil man das tut. Im Bad verliere ich irgendwann eine Stunde. Sie kommt mir einfach abhanden. Ich muß wohl einfach stumpf so lange unter dem heißen Wasserstrahl gestanden haben.
Es gibt nicht viele, mit denen ich über dich sprechen kann. Echte Tiermenschen sind selten … und ich möchte deinen schönen Charakter und deine Würde nicht beschädigen lassen, indem ich mir Sätze anhörte, in denen das Wort ’nur‘ vorkommt. Exzentrisch ist noch der vorsichtigste Begriff, dem man begegnen kann, wenn man in diesem kalten Land jemand ist, der erlebt hat, daß sich Liebe nicht um Speziesgrenzen schert. Wagt man auszusprechen, daß eine solche Bindung bilateral ist, ist’s ganz vorbei. Das mag ich unseren zwanzig Jahren miteinander nicht angetan sehen …
Am Abend kann ich unter meiner Zimmerdecke nicht mehr aufrecht stehen, und hole den Liebstem vom Bahnhof ab. Er hat den ganzen Tag ‚funktioniert‘ und kann erst jetzt aufhören vor seinem Herzen Posten zu stehen, ich hatte die Möglichkeit über den Tag immerwieder. ‚Wir trauern anders.‘ sagt er traurig, und es klingt wie ein Vorwurf. Nein, tun wir nicht. Uns ist lediglich ein unterschiedlicher Rhythmus aufgezwungen.
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Du fehlst so sehr … hundertmal am Tag sucht mein Blick den deinen und findet nur die Decke, auf der du zuletzt die Tage verbrachtest. Unsere Funklinie: einander ansehen. Du wußtest mir mitzuteilen: Ich brauche Futter, Wasser, Nähe, Ansprache oder auch: Alles gut, schön daß du da bist. In den letzten drei Wochen habe ich unter deiner Liegeexistenz gelitten, ich wünschte dir so sehr die Chance zur Selbstbestimmung. Du hast etwas anderes getan. Hast dich einfach mir anvertraut. Ruhig und sicher. Einzig die Unfähigkeit selbst zum Klo zu kommen, hat dich genervt. Aber eben genervt, nicht mehr. Gelitten hast du schließlich unter deiner immer jämmerlicheren Atmung und den Krämpfen in deinem Bauch. Vor weiterem Leiden habe ich dich auf die einzige Weise beschützt, die noch möglich war. Und fühlte mich wie ein Verräter, Verbrecher, Mörder.
Heute Nacht sitze ich hier und begreife endlich – Du HAST es mir gesagt! Von Montag Abend bis jetzt habe ich gebraucht um es zu kapieren …
In all den Jahren hat es keine Lage gegeben, in der ich dich nicht habe beruhigen können. Was immer da war, von Fieber bis kreischende Zugbremsen in der Umzugsnacht – in meinen Armen wurdest du ruhiger. Nicht unbedingt entspannt, aber immer ruhiger. Erst seit Ostersamstag gab es Lagen, in denen ich dich nicht beruhigen konnte. No way.
Ich war nicht voreilig. Ich war im Gegenteil ein wenig lahmarschig.
Es springt mich nun erst an, daß du mir durchaus gesagt hast, wo du bist. Wie konnte ich so blind sein? Es läßt sich erklären: Deine Art von Bewußtsein war in der Lage die jappsenden jammernden schmerzenden Lagen zu vergessen, so bald sie – for the time being – vorbei waren. Meine Art von Bewußtsein mühte sich um das Gesamtbild und hatte Angst unumkehrbare Dinge in die Wege zu leiten und dabei dem eigenen Sein zu folgen und nicht dem deinigen.
Soviel zu speziesübergreifender Kommunikation und ihren Grenzen … Wundertier, du ahnst nicht wie sehr wir dich vermissen. Ich möchte so gerne ein durchdrungener Buddhist sein und bin doch noch immer nur am Rand davon … ich wünsche mir sehr, daß wir uns wiedersehen.
Morgen werden wir deinen kleinen Körper der Erde anvertrauen. Ich fürchte mich ein wenig vor der Kälte und der Steifigkeit – doch ist dies die Hülle, mittels derer wir sprachen. Dieses Fell habe ich gestreichelt, diese Pfoten lagen auf meiner Haut …
Die einzige Frage, nunmehr, die ich nicht lösen kann: Wohin mit all der Liebe, auf der dein Name steht?
Epitaph also, angemessen.
Alles Gute für Dich, für Euch.
Danke.
Trost spenden zähle ich nicht zu meinen Stärken (und ist eh schwierig auf Entfernung), aber laß Dir gesagt sein, daß meine Gedanken bei Dir sind. Du hast die richtige Entscheidung getroffen, das steht ausser Frage. Und Du hast die ganzen Jahre mit Sicherheit die beste Katzenmitbewohnerin abgegeben, von der ich bisher gehört & gelesen habe.
Mir hat Musik bisher immer in allen Lebenslagen geholfen, daher ein passender Song für Dich:
http://bit.ly/XkiE5j
Weißt du, wie soll das auch gehen? Untröstlich zu sein, kann sich ganz und gar angemessen anfühlen. Ich lehne mich an den Gedanken, daß diese und ich gut waren mit- und füreinander. Das sehe ich wie du.
Danke für den Song, ich werde ihn mir in Ruhe anhören, wenn ich soweit bin, daß ich etwas anderes als Pink Floyd ertragen kann (zur Zeit das Einzige was geht, wisse Bastet warum).
ein schöner nachruf …
sie fehlen so … :'(((
*drück*
Ja. Untröstlich. Es gibt keinen Trost. Es ist ein grosses Elend und man muss es durchschreiten.
Ganz vielleicht die Gewissheit, dass man wieder besondere (Tier-)Persönlichkeiten treffen wird. Dennoch wird man die eine nie vergessen.
Aber der Schmerz wird weniger werden. Und die Lücke. Versprochen.
Ja, genau, Frau Montez – genau so ist das. Und es ist noch mehr als das Nicht-vergessen. Dieses Wesen hat mich zu einem besseren Menschen werden lassen, davon bin ich überzeugt. Ich habe viel von ihr gelernt – von einem Mehr an empathischen Fähigkeiten über mehr Selbstbeherrschung und speziesübergreifenden Fremdsprachenerwerb – :) – bis hin zu einer erhöhten Fähigkeit von sich selbst abzusehen. Ich bin dankbar. Sehr. Es wäre direkt merkwürdig bis fragwürdig, wenn dieser Verlust ein tröstbarer wäre.
Ich glaube: Wir vergessen niemanden, sei er Mensch oder Tier, der jemals einen echten Raum in unserem Fühlen und Sein hatte. Und des g’hert so.
Kompliziert wird es es erst im Außen, und genau deswegen habe ich gerade den Wunsch es hier zu schreiben: Ich leide anders, wenn ich einen geliebten Menschen verliere. Anders. Nicht weniger. Nur um das auch einmal ausgesprochen zu haben. Obwohl es vielleicht nicht für jeden so sein mag – für mich ist es so.
Anders. Nicht weniger.
Warum solltest du weniger trauern? Ein Lebewesen, mit dem du lange Zeit gelebt hast, über und mit dem du dich gefreut und geärgert hast, ist nicht mehr da.
Aber, auch von mir ein Versprechen: Es dauert vielleicht lang, aber es wird besser. Und irgendwann schleicht sich eventuell wieder ein anderes kleines Trampeltier in dein Leben.
Die Schwankungsbreite ist enorm – phasenweise geht es ganz gut, dann plötzlich wieder gar nicht. Trauerarbeit eben. Was hilft: Reines Selbstmitleid kann ich nicht leiden, auch nicht an mir selbst. Diese Tatsache bremst mir immerhin die Jammerphasen sauber aus, aber das Sie-Vermissen tut sehr weh.
Ich bin sicher, daß ich mich noch einmal von einem Katzenwesen finden lassen möchte, das mich für ‚passend‘ erachtet, früher oder später. Mehr als einmal kann ich das auch nicht mehr schaffen, wenn es dann nochmal zwanzig Jahre würden. :)