Long and winding road

Verschnupft ist sie, Fieber hat sie nicht, in Sachen Corona also alles im Lot.
Beim Telefonieren stimmt nur der erste Satz. »Hallo, Liebes!« sagt sie, und es klingt wie in alten Zeiten. Danach wird es schwer. Ich erkläre ihr, warum ich sie nicht aufsuchen darf und sie reagiert, als hätte sie niemals zuvor von Corona gehört. Große Wirrniss, viele lose Enden, aber vor allem eine Mattigkeit in ihrer Stimme, die mir durch Mark und Bein fährt.
Später ein langes Gespräch mit einem der hauptamtlichen Pfleger, der meinen Eindruck bestätigt. Sie sei zu fast nichts mehr zu motivieren, selbst zum Essen und Trinken müsse man sie überreden, er habe den Eindruck »Sie will einfach nicht mehr.«
Der rotblinkende Alarm in meinem Kopf taugt zu rein gar nichts – ich darf sie nicht besuchen bevor sie nicht wieder c-negativ ist, und kann auch sonst gar nichts machen, wenn ihr nun sozusagen … der Bock umgefallen ist.
Im letzten halben Jahr habe ich sie immer wieder darum gebeten, daß ich sie mit zu mir nach Hause nehmen darf. Hätte so gerne für sie gekocht und mal wieder ein Stück Leben jenseits des Seniorenheims in ihr Leben getragen. Doch sie wollte das nicht, hatte Angst vor den 760 Metern mit dem Rollstuhl. Nötigen wollte und will ich sie nicht.
Jetzt sieht alles danach aus, als wäre sie im Begriff ihr Leben und vor allem ihren Lebenswillen fahren zu lassen. Ihre physischen Werte sind gut, doch als halber Mediziner weiß ich gut wie schnell es gehen kann, wenn jemand einfach die Leine loslassen möchte.
Fühle mich stabil, doch schlafe ich kaum – ein Ping meines Herzens, das tief besorgt und vollkommen machtlos ist.
Und dankbar bin ich. Was auch immer in nächster Zeit passiert – wir hatten fast ein Jahr, in denen ich sie nach Kräften stützen, in die Demenz begleiten und da sein dürfte. Intensive Gespräche, noch intensiveres Schweigen … Wir sind füreinander da gewesen. Verabschieden konnte ich mich, Schritt um Schritt, über mehr als zwei Jahre, und das stimmt wohl auch für sie.
Jetzt ist der Stand so, daß ich mich nicht wundern werde, wenn sie demnächst einfach einschläft und sich gegen ein wieder aufwachen entscheidet.

Sollte das anders laufen, werde ich mich über ein wenig mehr gemeinsame Zeit freuen.