Brief an meine Tochter

Wir werden uns sehr festhalten müssen aneinander … Schon jetzt gibt es vieles, für das ich dich um Verzeihung bitte. Weißt du, deine Mutter hat kein Händchen für das Glück. Die Liebe, Eros und vor allem Agape, die habe ich wohl begriffen. Wie ein glückliches Zusammenleben geht ohne Selbstverleugnung und tiefe innere Geheimnisse leben zu müssen, das weiß ich noch immer nicht. Bin auch eine Dünnhaut und ein Schwerblut, Leichtigkeit hängt nie von mir, immer von anderen ab, und geht nur mit ganz wenigen Menschen. Das WaskostetdieWelt wirst du von mir nicht lernen können. Ich bitte dich, suche dir unbedingt Menschen im Laufe deiner Reise, von denen du es lernen kannst.
Klar ist mir nur soviel: Humor und Selbstironie sind wichtige Helfer, wenn man das Leben genießen möchte – und das sollte man unbedingt tun! Lachen ist wichtig. Sich selbst ernst nehmen ist gut; sich nicht zu ernst zu nehmen ist noch besser. Du ahnst ja gar nicht wieviele Beklopptheiten in einer Menschenseele Platz haben, wieviel Schönheit auch. Du wirst schon sehen …

Über deinen Vater kann ich dir nur wenig sagen – von der Tatsache abgesehen, daß ich ihn auf die einzig richtige Weise liebe: umfassend, jederzeit und schier blindwütig. Es wird besser sein, du fragst ihn irgendwann einmal selbst. Ich möchte wetten, du wirst die Antworten bekommen, die ich vergeblich zu erjagen suche :)
Das Wenige, was ich weiß: Er ist ein verschlossener Mensch in dem Sinne, daß er im Umgang mit Emotionen unsicher und ängstlich ist, selbst mit seinen eigenen. Aber sei sicher: er hat welche! Du wirst das schon herausfinden. Auf jeden Fall wird er dich lieben. Immer.

Was ich dir werde geben können, ist ein tiefer Glaube an Werte wie Vertrauen und Freundschaft, und eine große Begeisterung für das Leben an sich.

Das Leben, mein Kind, ist unfassbar schön!
Glaube niemandem, der dir etwas anderes einreden will!

Jene misantropischen Charaktere, die am Leben zu verzweifeln glauben, verzweifeln nicht am Leben, vielmehr am Menschsein und an Menschen, ganz konkreten Personen. Meistens sind sie aufgewachsen mit der Idee vom Leben als Rosengarten voll netter Geschöpfe und wunderschöner Gewächse. Diese Idee hindert sie daran, Schmerzen als Teil des Lebens zu akzeptieren; sie fühlen sich betrogen und meinen, das Leben an sich sei eine Last und nicht viel wert. Dies, hoffe ich, werde ich dich lehren können: Schmerz ist ein Teil des Lebens, der sich als Leitlinie benutzen läßt, den man begrüßen kann wie einen alten aber häßlichen Freund, der einem richtige Dinge sagt – die man nur gerade nicht hören möchte. Schau bitte auch nie herab auf jene, die ihr Leben nicht mögen. Meist sind sie einfach sehr unglücklich oder erschöpft.

Liebes, lass dir sagen: Der Rosengarten beherbergt auch wilde, bösartige Tiere und gemein getarnte Giftpflanzen. Jedoch: Es bleibt ein Rosengarten!