Viel los im Nix los

Ein laufender Auftrag nähert sich der Vollendung. Anspruchsvoll, viele programmatische Eingriffe. Endlich kommt auch Input, wir werden sicher vor dem vereinbarten Termin fertig. Verbringe sehr viel Zeit am Schreibtisch, mit Auftragarbeit und mit dem Schweizer Messer. Mit Rechnunglegung, Buchhaltung – ganz zu schweigen von Steuererklärungen – bin ich im Verzug .. Viel zu tun.

Die Arbeit lenkt mich von einer Bedrückung ab, mit der ich nicht gerechnet hatte. Herr G., der Nachbar aus dieser Geschichte, ist buchstäblich tot umgefallen.

Ich hatte ihn zwei Tage nicht erreicht und war beunruhigt, hätte die Verwandtschaft alarmiert, doch die wuchs dann vorher vor meiner Tür aus dem Boden. Wir schlossen auf – Kette vorgelegt – doch sahen wir ihn über den Flurspiegel schon liegen. Großalarm. Feuerwehr für den Bolzenschneider, Paramedics um das Offensichtliche amtlich zu machen, Kripo – wie bei allen derartigen Todesfällen – Bereitschaftsarzt für die Leichenschau, Schlosser zur Sicherung der Wohnung. Es ging bis um vier Uhr am Morgen zu wie auf dem Bahnhof. Kurzbefragung durch die Polizei und die freundliche Nachfrage, ob man mit eventuellen Fragen noch einmal auf mich zukommen dürfe.

Sonntag hatte ich ihn noch gesprochen, er berichtete von Schwindel und Übelkeit. Ich riet zu unmittelbarem Arztbesuch (Verdacht auf stille Infarkte), doch er wiegelte ab ‚Wird schon. Habe ohnehin einen Arzttermin am Freitag.‘ Ein erwachsener Mann – ich konnte nur raten, nicht schieben. Es gibt auch noch einen offenen Posten – ich hatte kürzlich für ihn eingekauft. Mit diesen dreißig Euro werde ich die Familie nicht belästigen.
Wir hatten viel miteinander zu tun in letzter Zeit. Ich half wo erbeten und möglich, er erzählte viel. Er und ich haben eine wechselvolle Geschichte über achtzehn Jahre. Bevor die Lage für ihn und seine Frau schwierig wurde, hat er mich oft mit seiner Gesprächigkeit genervt. Heute lerne ich: Ich werde ihn vermissen, und bin voller Mitgefühl für seine Auffindesituation, die ihm sicher nicht gefallen hätte, und für seine an Demenz erkrankte Ehefrau mit nicht mehr behandelbarem Krebs, deren Mann nicht mehr kommen wird.

Ich bin bloß die freundliche Nachbarin.

2 Kommentare

    1. Ja, das hoffe ich. Es spricht einiges dafür, daß er das Bewußtsein verloren und nicht wiedererlangt hat, er hat also wahrscheinlich nicht stundenlang frierend und hilflos am Boden gelegen.

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