Sieben Leben

Man kann die Natur für die Erschaffung der Katze nur bewundern.

Ich habe hier ein Tier, welches in Katzenjahren 95 Jahre alt ist, nur noch über 45% der normalen Nierenleistung verfügt, dessen Herzanlage infolge einer Schilddrüsenüberfunktion um ca. 30% vergrößert ist, dessen Blutdruck um mehr als 30% zu hoch ist, dessen Herzfrequenz um ca. 20% zu hoch ist. Sie ist mit dem Wert, der die Dehydration anzeigt trotz dieses irrwitzigen Chaos im Stoffwechsel nur einen Punkt unterhalb des Normwertes.

Ein Mensch läge mit nur einem dieser Werte im Krankenhaus, bei ein oder anderem davon wäre er schlicht längst tot.

Bisher konnte ich nur Menschen-Laborwerte lesen, inzwischen lese ich auch ihre schon recht gut – und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Natürlich bekommt sie Medikamente, die sie mir dankenswerter Weise gutwillig abnimmt und erstaunlich gut verträgt, trotzdem ist schon verwunderlich, wie wenig beeinträchtigt sie ist – aus ihrer Sicht, wenn ich ihr Verhalten zur Grundlage nehme. Aufmerksam, klar, teilnehmend. Schnurrend, normal fressend und trinkend, nach wie vor neugierig, zwar kein Bewegungs- und Jagdfex mehr, aber … wie soll man sagen: voll da und lebenslustig.
Nach menschlichen Maßstäben ist sie halbtot. Da kann ich nur lachen.

Ich beobachte das zum ersten Mal. Und wäre der Organismus der Felidae nicht so ein Kompensationswunder – eine bittere Ironie – hätte ich viel eher die Chance gehabt zu merken, daß etwas nicht stimmt und hätte ihr Nieren- wie Herzschädigung ersparen können.

Was ich hier sehe, erstaunt und beglückt mich. Sie verhält sich so sehr wie früher – inklusive Möbel ablecken und auf Menschenteller lauern – ich fasse es kaum. Selbst die Putztätigkeit hat sie wieder aufgenommen.
Das Schilddrüsenmedikament, sagte man mir, brauche ca. 3 Wochen um sich auszuwirken und werde in 60% aller Fälle schlecht vertragen. Hier sehe ich eine deutliche Verbesserung nach 6 Tagen und es scheint, sie gehört zu den 45% jener Tiere, die selbst diese Mördermedizin Felimazol gut verträgt.

Mein kluges Menschentier hat inzwischen sogar begriffen, daß Schnurren letztlich beim gleichzeitigen Atmen zu anstrengend für ihr Herz ist. Sie befleißigt sich jetzt eines tiefen Knurrgurrens, wenn sie maximale Begeisterung anzeigen will, das wohl weniger belastend ist – jedenfalls kann sie das tun, ohne in Maulatmung zu verfallen.

Ich stehe nur noch da und staune.
Im Prinzip kann es jeden Tag vorbei sein – aber danach sieht es einfach nicht aus.
Sie genießt ihr Leben und hat anderes vor als dankend abzuwinken. Leiden mutete ich ihr nicht zu, sie zeigt mir aber auch sehr deutlich: Da sind wir noch nicht.
Zwei Wochen noch bis zur Kontrolle. So wie sie sich benimmt, erwarte ich die Manifestation eines Wunders im Blutbild

Kein Wunder, daß man den Katzen sieben Leben nachsagt.

(Finanziell ist das alles mörderisch, aber nie habe ich gutwilliger Geld ausgegeben, das ich eigentlich nicht habe. Inzwischen kann ich den Mann verstehen, der es bis in Fernsehsendungen schaffte, weil er seinem geliebten Kater eine Nierentransplantation finanziert hatte.)

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